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© Dessislaw Pajakoff
Katharina Tiwald wurde 1979 in Wiener Neustadt geboren und ist im Burgenland aufgewachsen. Sie studierte Sprachwissenschaft und Slawistik in Wien, Sankt Petersburg und Glasgow. Heute lebt und arbeitet sie in Wien und im Südburgenland. Sie ist Lehrbeauftragte für Slawistik an der Universität Wien, Präsidentin des burgenländischen Zweiges der Schriftstellervereinigung P.E.N. und freie Schriftstellerin. Sie schreibt Lyrik, Prosa und Bühnenwerke. Bücher (Auswahl): Schnitte – Portraits – Fremde (edition lex liszt 12, 2005), Alpha, Theta, Kitsch und Hirnblumen (2007), Berührungen. Hertha Kräftner zum 80. Geburtstag (edition lex liszt 12, 2008), Messe für Eine (2009), Die Wahrheit ist ein Heer (Styria, 2012).
 

Messe für Eine 

Uraufführung im OHO (Offenes Haus Oberwart), 5. April 2007
 
(Auszug ) 
 
Predigt
 
Stellen Sie sich vor:
Eine Ortschaft unter blauem Himmel
Und die Gewächse der Jahreszeit.
Eisenstadt oder Oberwart oder so.
Nach oben offener Himmel. Hinterlistig eigentlich.
Die Gewächse der Jahreszeit.
Knollen. Blätter.
Und die Auswüchse von uns.
In den Schlafzimmern hängen die
Hochzeitsbilder und die Glockenblumen-
Bilder und die Moderne in Farben oder aber auch die
Betenden Hände; Dürer;
In den alten Schlafzimmern sind
Dürers betende Hände gestickt oft noch untergebracht,
ausgemacht, hängen da,
wie unsere zusammengestickten Hände
hängen
zum Himmel hin unsere zusammen
drängenden Hände
auf;
Hände gestutzter Nägel und
abgebissen die schwarzen Ränder und 
unter der Nagelschere die schwarzen
Ränder wegtherapiert und
in den Schlafzimmern betende Hände. 
Zitternde Körper. 
 
Wir sind jeden Tag zitternd, und
täglich ist der Tod bei uns, wenn wir
einmal nicht mehr sein werden.
Wir Sehnsüchtler. 
Wir werden den Tag schauen,
sagen wir uns,
an dem wir,
und dann,
sagen wir,
wir der Tag kommen, der,
und im Himmel suchen wir die Erlösung,
während wir kochen,
und in den Sternen suchen wir die Erlösung,
während wir putzen noch und noch und jeden Tag,
 
(…) 
 
und weißt du noch, wie ich du bin,
ich bin in dem Wein von der Weinverkostung,
ich bin die Schuldblumen nach durchzechter Nacht und dem
knapp verfehlten Baumstamm,
ich bin der Kampf in dir um dein Kind,
ich bin der Kampf um die Liebe und
der Schmerz um ihr Schwinden,
 
(…) 
 
Ich bin die Liebe und das Fehlen der Liebe 
und der Wechsel und Austausch der Liebe. 
Ich bin in meiner Liebe das Ausrinnen. 
Ich bin die Horizontale und das Ausgießen der Liebe. 
Ich bin das Stichwort. 
Das Stichwort! 
Was Stichwort, und wie 
sticht dieses Wort. 
Hätte aber die Liebe nicht – 
wäre ich nur ein scheppernder Kochtopf, 
tönern und leer, würde den Kohl und die Kohle 
ausdampfen und alle Vitamine weg und nur Pappe, 
hätte die Liebe nicht, hätte ich 
die Liebe nicht selbst gebaut mit meinen Händen, 
jeden Tag, 
mit meinen kohlrabenschwarzen Händen mit dem 
Dreck, meinem Dreck, meinem Tagesdreck und meinem 
Totendreck unter den Nägeln. 
 
Und eines bin ich noch, meine Lieben,
meine Geliebten,
meine von mir täglich Geliebten. 
 
Ich bin der Tod.
Ich saß einmal auf einer Parkbank
im Vorfrühling; schwarze Raben waren da,
und ich war leer.
Ich fragte den Toten des letzten Jahres:
Wo bist du?
In den Himmel hinein,
die Luft hinein,
ich fragte: wo bist du,
aber dann, dann die Antwort,
und das ist die Antwort,
im Vorfrühling auf der Parkbank und
die schwarzen Raben,
ich bin der Tod,
der Tod bin ich,
und ich komme zu allen,
(…)
mit meiner 
grenzenlosen
Liebe der strömenden
werde ich dich
 
zudecken kommen.
 
Und Stückwerk ist unser Erkennen.
Und Windhauch.
Und Windhauch sind unsere Schlafzimmer.
Sind unsere Kinder.
Meine Lieben.
Und lieben – einziges Gebot. 
 
 
 
Aus dem Buch: 
© edition lex liszt 12, 2009
 

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