hofer
© Monika Loeff

Thomas Hofer wurde 1978 in Eisenstadt geboren, wuchs in Mattersburg und Walbersdorf auf. Studium der Germanistik, Geschichte und Keltologie an der Universität Wien, Abschlussarbeit über den Welschen Gast des Thomasîn von Zerclaere und das frühmittelalterliche Audacht Morainn. Zahlreiche Studienaufenthalte in der Gaeltacht (Connemara, Irland) und Studium des Irisch-Gälischen.

Ab 2012 als Werbetexter tätig. Stationen bei namhaften Werbeagenturen in Wien. Seit 2020 freier Werbetexter und Konzeptionist in Wien und Burgenland. 

Man kann nicht normal schauen zur:
EUCHARISTIEFEIER

(Auszug)

Seit langem schon hege ich den Verdacht, die Weihwasserbecken in unseren Kirchen wären mit Botox versetzt. Weil warum: Die Gläubigen tauchen die Fingerkuppen ein, bekreuzigen sich die Stirn und dann verziehen sie keine Miene mehr, als hätte ihnen der Worseg die Nervenenden betäubt. Mit starren Einheitsgesichtern bevölkern sie die Gebetsbänke, wie C-Promis in den „Seitenblicken“ warten sie sehnlichst darauf, von Gott erkannt zu werden. Denn sie wissen: Nie ist die Chance größer, ihm vor die Linse zu laufen, als zur Eucharistiefeier.
Zur Eucharistiefeier stehen die Menschen Schlange, um den Leib Gottes in Form einer Hostie in Empfang zu nehmen. Manche lassen sich die metaphysische Oblate in die Hand geben, andere direkt in den Mund. Da kann es schon einmal passieren, dass auf dem Dechantsfinger Speichelfäden kleben, wenn wieder jemand ordentlich Gusto auf Gott hat. Die Gläubigen in der Eucharistie-Schlange haben es sich zur Aufgabe gemacht, alles Leid und den Schmerz der Welt, vielleicht sogar des ganzen Universums, zu verkörpern: verzerrte Gesichter, aufgesperrte Münder, zerfurchte Stirnen – groteske Grimassen, die gegen die lähmende Wirkung des Weihwasser-Botox anzukämpfen scheinen und dadurch noch entstellter wirken. Und das alles nur, um den Himmelvater gnädig zu stimmen, als wollte man sagen: Siehe, ich bin ein armer Wurm und voll des Leids, ich bin deines Zornes nicht bedürftig.
Während der Eucharistiefeier gerät der Korridor zwischen den Sitzreihen zum Laufsteg für gelebtes Märtyrertum, zum Catwalk der Rheumatiker, zur 60-m-Bahn für Fatalisten. Hier scheint für kurze Zeit das Gebrechen plötzlich salonfähig, mit allerlei Verfallserscheinungen tritt man in Konkurrenz zueinander: Künstliche Hüftgelenke werden ins Rennen geworfen mit chronischen Krankheiten, nervöse Ticks wetteifern mit auffälligen Schrullen, hier und da lugt sogar ein Schorfkopf hervor. Es gilt: Je armseliger, desto besser. Zählt man zu den wenigen Unversehrten, versucht man durch überaus devotes Gebaren zum Hauptfeld der Gottesgefälligkeit aufzuschließen. 

 

aus dem Buch:

Junge Literatur Burgenland

Clara Heinrich, Thomas Hofer, Katharina Köller, Christoph Reicher
Band 6
ISBN: 978-3-99016-234-7
Hg.: edition lex liszt 12, 2022

 

cover_

Zum Seitenanfang
Literaturweg und Literaturtage in Kohfidisch literaturweg.at